Ukraine: Hilfe für die Leidtragenden des Kriegs
Familien im Krieg
Natalia und Oleh Halchyshak leiten ein von der Caritas unterstütztes Waisenhaus im Westen der Ukraine, nahe der Stadt Lwiw.
"Die Caritas", sagt das Ehepaar, "hilft uns auf verschiedene Weise. Die Caritas-Mitarbeiter bringen uns Lebensmittel und helfen bei der Ausbildung der Kinder. In diesen harten Zeiten ist es sehr schwer, Hilfe zu finden. Das macht die Unterstützung, die wir bekommen, so sinnvoll."
Natalia und Oleh Halchyshak mit ihrer Familie. Zu den leiblichen Kindern gesellen sich Waisenkinder, die durch den Krieg vertrieben wurden. Sie werden "immer Teil der Familie bleiben".Foto: Mickael Franci / Cordaid
Dann sprechen sie über die über ihre gegenwärtigen Ängste und Probleme, die sich ihnen seit dem Beginn des Krieges stellen: "Wir geben es zu: Wir haben Angst. Angst, dass die Frontlinie näherkommt. Wir wollen natürlich gerne hierbleiben und nicht zu Flüchtlingen werden. Jede Nacht beten wir, dass hier keine Bomben fallen und wir als Familie zusammenbleiben können. Um uns zu beschäftigen, spielen wir viele Spiele, kochen zusammen und basteln. Wir machen auch patriotische Armbänder für die Soldaten an der Front. Andere Mittel, sie zu unterstützen, haben wir nicht, aber vielleicht ist das wertvoller als Geld."
Unweit der westukrainischen Stadt Lwiv hat die Caritas Ukraine Häuser für Kinder gebaut, die ihre Eltern verloren haben. Diese so genannten "familiengeführten Waisenhäuser" bieten den Kindern einen sicheren Raum, in dem sie mit der Unterstützung und Wärme einer echten Familie leben, lernen und wachsen können.
"Wir bezeichnen es nicht als Projekt, denn ein Projekt hat einen Anfang und ein Ende", sagt die Erzieherin Tetiana Kalinichenko von der Caritas. "Es ist eine Lebensform. Die Kinder, die hier leben, werden nicht auf sich allein gestellt sein, wenn sie 18 Jahre alt werden. Sie werden immer ein Teil dieser Familie bleiben. Kindern auf diese Weise zu helfen, bedeutet wahre Hingabe."
Caritas hat bislang insgesamt fünf dieser Häuser für fünf "Familien" gebaut. In jedem Haus wohnt eine Familie mit zehn Personen. Einige leben schon seit Jahren hier, während andere erst vor kurzem, nach dem Ausbruch des Krieges, angekommen sind.
Die kleine "Siedlung" der von der Caritas unterstützten, familiengeführten Waisenhäuser. In jedem der insgesamt fünf Häuser wohnt eine Familie mit zehn Personen. Foto: Mickael Franci / Cordaid
So zum Beispiel auch Natalia Molar, die mit zweien ihrer Kinder aus einem Dorf in der Nähe von Kiew kam und sich nun auch um acht andere vertriebene Kinder kümmert.
"Wir wollten", erzählt Natalia Molar, "so lange wie möglich in unserem Haus bleiben, aber als die Raketen über unseren Köpfen zu fliegen begannen und ein Nachbardorf vom russischen Militär besetzt wurde, war uns klar, dass wir gehen mussten. Mein Mann und mein ältester Sohn konnten leider nicht mitkommen. Sie mussten zur Armee gehen. Jetzt arbeiten sie auf einer Militärbasis und rufen mich jeden Tag an, um mir mitzuteilen, wie es ihnen geht. Unsere Familie ist gespalten und es ist für uns sehr schwierig. Aber wenigstens sind wir hier sicher und die Menschen helfen uns. Mein Mann und mein Sohn wissen, dass wir an einem guten Ort sind. Das beruhigt sie."
Als sie in diese Region kamen, mussten sie zunächst in einem Kindergarten schlafen. Nach ein paar Tagen wies die Caritas das familiengeführte Waisenhaus zu.
"Zunächst", erzählt Natalia Molar weiter, "hatten wir keine Ahnung, was passieren würde. Wir dachten, dass wir am Bahnhof schlafen müssten. Hier können wir jetzt aber unter den gleichen Bedingungen leben wie zu Hause. Dafür sind wir sehr dankbar."
Die Kinder in den Caritashäusern gehen zur Schule, haben alle Bücher, die sie brauchen. Und, ergänzt Molar, "sie haben wunderbare Lehrer. Sie lernen sehr gut und haben gute Noten."
Dennoch ist da wegen des Kriegs die ständige Sorge um die Zukunft: "Meine größte Sorge ist, wann dieser Krieg zu Ende sein wird. Mein Sohn sollte zur Universität gehen. Was wird er jetzt tun? Ich mache mir große Sorgen um meine Familie. Die Zukunft ist ungewiss, deshalb versuchen wir, uns nur auf das Morgen zu konzentrieren. Wir gehen unseren Hobbys nach und versuchen, uns so gut wie möglich zu unterhalten. Wir spielen Fußball und Tennis. Wir gehen auch oft angeln und kochen gerne zusammen. Ich kann es kaum erwarten, meinen Sohn und meinen Mann wieder bei uns zu haben. Ich vermisse sie so sehr."
Natalia Molar kümmert sich hingebungsvoll um ihre Pflegekinder und ist dankbar für die Unterstützung der Caritas. Doch ihre größte Sorge kann ihr leider niemand nehmen: Ihr Mann und ihr Sohn mussten zur Armee.Foto: Mickael Franci / Cordaid
Große Teile der Ukraine befinden sich seit 2014 im Kriegszustand. Doch seit Februar 2022 wird das Leben aller Ukrainer durch Gewalt, Waren- und Nahrungsmittelknappheit und eine große Vertreibungskrise stark beeinträchtigt. Die Mitarbeiter und ehrenamtlichen Helfer(innen) der Caritas haben sich darauf eingestellt und arbeiten in Schichten sprichwörtlich rund um die Uhr, um Menschen zu unterstützen, die aus ihren Häusern geflohen sind. Andere können einfach nicht fliehen und sitzen in einem Kriegsgebiet fest. Auch ihnen hilft die Caritas, wo es immer nur möglich ist und es die Sicherheitslage auch nur einigermaßen erlaubt.
Der westliche Teil des Landes, insbesondere die Stadt Lwiw, hat sich nach der Verschlechterung der Lage im Osten zu einer humanitären Drehscheibe entwickelt. Lastwagenladungen von Waren aus den Nachbarländern treffen dort ein; humanitäre Helferinnen und Helfer liefern die Waren in Städte in der Ostukraine, die ständigem Bombenhagel ausgesetzt sind. Und in denen immer noch Menschen in den Trümmern leben.
Die Caritas verteilt nicht nur Lebensmittel, Wasser, Kleidung und Medikamente, sondern bietet auch Hunderten von Vertriebenen ein Zuhause oder begleitet sie zur Grenze, wenn sie außerhalb des Landes Sicherheit suchen. Für Kinder gibt es eine besondere Betreuung in speziellen Zentren oder in familiengeführten Waisenhäusern. Dort können sie lernen, spielen und ein normales Leben führen.
In zahlreichen Städten des Landes hat die Caritas Zelte aufgestellt, in denen die wichtigsten Hilfsgüter verteilt werden. Außerdem gibt es Garküchen, in denen Vertriebene und andere Bedürftige täglich eine warme Mahlzeit erhalten. Um nur ein Beispiel zu nennen: In der Stadt Ivano-Frankivsk versorgen Freiwillige täglich 1.200 Menschen mit Mahlzeiten.
Viele derjenigen, die sich heute ehrenamtlich engagieren und humanitäre Hilfe leisten, haben selbst unter den Folgen des Krieges gelitten. Es ist ein Klischee, aber es ist wahr: Der Krieg bringt oft das Schlimmste und das Beste in uns zum Vorschein.
Eine Reportage von Mickael Franci, Cordaid