"Ich schaffe das"
José Urbano Aza steht mit seiner Freundin Mayra in der Fußgängerzone in Pasto. Nichts besonderes eigentlich. Rein äußerlich fallen an diesem Bild nur die beiden Krücken auf, die der 27-Jährige fest nach unten drückt. „Wir lieben uns“, sagt Jesús und lächelt, „Seit ich vor vier Jahren meine beiden Beine verlor, ist Mayra meine große Hilfe. Wir sind glücklich.“
José Albeiro Urbano mit seiner Freundin Mayra (20)Foto: Lena Mucha
José ist eines der fast 10.000 Minenopfer des Bürgerkriegs in Kolumbien. Über fünf Jahrzehnte lang bestimmte der Krieg zwischen dem Militär, den Guerillagruppen und den Drogenkartellen das Leben im Land. Für viele Menschen ist er aufgrund ihrer erlittenen Verletzungen noch immer nicht zu Ende. Auch für José nicht. Er lebt in der Nähe von Samaniego, einer größeren Stadt im Südwesten Kolumbiens. Von hier aus ist man mit dem Auto in nur eineinhalb Stunden am Pazifik. Die ecuadorianische Grenze liegt ebenfalls nicht weit im Süden. Etwa zwei Stunden braucht ein Fahrzeug über die Anden, um das Nachbarland zu erreichen.
Drogenanbau und Drogenhandel fanden hier in Nariño ein ideales Umfeld, was das Departement zu einer besonders gefährlichen Region macht. Von insgesamt 1.389 Unfällen mit Minen- und Sprengfallen in Kolumbien ereigneten sich seit 1990 in Nariño 539. Und auch nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags im November 2016 ist die Gefahr noch nicht gebannt. Allein in den ersten neun Monaten im Jahr 2018 kamen dreißig Menschen durch Landminen zu Schaden, darunter zwei Kinder. Der Staat ist hier nicht Herr der Lage. Er räumt weder Minen, noch kann er den Opfern ausreichend helfen.
Hoffnung und Perspektiven schaffen
Das Hilfswerk der deutschen Caritas unterstützt bereits seit 2007 die kolumbianische Caritas darin, diese eklatante Fehlstelle für die von Minen Versehrten zu schließen. „Die Caritas war gleich nach meinem Unfall da und hat sich um alles gekümmert“, berichtet José Orbana. Sie habe ihn mit Kleidung und Medikamenten versorgt und sich vor allem auch seiner Familie angenommen, die überhaupt nicht wusste, was zu tun war. „Sie haben meine Eltern zu den Behörden begleitet und geholfen, die vielen Papiere auszufüllen. Ohne Caritas wäre alles noch viel schlimmer gewesen.“
Das Landminenprojekt von Caritas international und der Caritas Kolumbien umfasst heute etwa hundert Gemeinden in den Departements Nariño, Caquetá und Chocó. Minenopfer, die sich selber gern als Überlebende bezeichnen, werden dort eng von Caritas-Mitarbeitenden betreut und erhalten medizinische Hilfen. Es geht um die Beschaffung und Anpassung von Prothesen, den barrierefreien Umbau der Häuser, manchmal aber auch nur um Kleidung und Lebensmittel.
„Die Überlebenden brauchen wieder Hoffnung und Perspektiven, was nicht einfach ist“, erklärt John Ramirez, Psychologe der Caritas in Pasto. „Besonders die Zeit kurz nach dem Unfall lässt sie ins Bodenlose fallen. Sie machen sich selbst Vorwürfe, oft zerbrechen Beziehungen. Das ist eine für die Betroffenen und ihr ganzes Umfeld sehr schwierige Phase.“ Deshalb ist eine psychosoziale Betreuung der Überlebenden fester Bestandteil der Arbeit von Caritas. Sie ist vor allem dann wichtig, wenn Kinder betroffen sind. „Den Kindern fehlt noch das sprachliche Vermögen, ihre Gefühle auszudrücken“, erläutert John Ramirez. „Hier müssen wir anders arbeiten und ganz besonders sensibel sein.“
José Albeiro Urbano verlor durch eine Mine beide Beine. Er geht zur Schule und arbeitet als Fahrer, in dem er Kinder mit seinem eigenen Bus zur Schule fährt. Ohne die Unterstützung seiner 63-jährigen Mutter Ismailinea Aza und die Caritas hätte nicht wieder so viel Mut fassen können, berichtet er uns. Foto: Lena Mucha
Auch José Urbano Aza hat diese schwere Zeit durchgemacht, sich aber durch die Unterstützung der Caritas „schnell gefangen“, wie er sagt. Das Haus, in dem er und seine Familie leben, wurde für ihn etwas umgebaut. So kann er am Alltag teilhaben. Und nicht nur das. Er hat seinen Führerschein gemacht und fährt heute die Kinder des Ortes täglich zur Schule. Zudem will er das Abitur nachholen, für das er jeden Tag selbst die Schulbank drückt. „Ich schaffe das“, und lacht dabei seine Freundin Mayra an, die ihn zu einem Caritas-Workshop für Überlebende in der Stadt Pasto, dem Zentrum vom Nariño, begleitet hat. Hier kann er zusätzlich Kraft tanken, weil er weiß, dass er und die anderen Überlebenden mit der Caritas eine verlässliche Partnerin fest an ihrer Seite haben. Auch in der Zukunft.
November 2018, Reiner Fritz