Dorfbewohner organisieren sich selbst
Markonisah Khat, die HirtinBirgit Betzelt, Caritas international
"Ich muss heute als Hirtin arbeiten", berichtet die Tagelöhnerin Markonisah Khat, "denn vor 15 Jahren haben mir die Fluten des Tistaflusses alles genommen."
Ihr Ackerland, aber auch das vieler anderer Dorfbewohner, wurde damals überschwemmt und ist bis heute von einer dicken Sandschicht bedeckt. Nicht ein Grashalm gedeiht auf der Sandfläche. Riesige Schwemmflächen wie wir sie in Europa nicht mehr kennen, kennzeichnen die großen Flüsse, die vom Himalaya kommend Westbengalen durchziehen, bevor sie durch Bangladesch den Weg ins Meer finden. Viele landlose Bauern, aber auch Flüchtlinge aus Bihar und Bangladesch siedeln an ihren Ufern und versuchen auf kleinsten Ackerflächen ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Wem die Fluten die ohnehin schon wenige Habe genommen haben, bleibt nur noch übrig sich als Tagelöhner durchzuschlagen. Durch den Klimawandel und durch Bodenerosion nehmen die Überflutungen in der Monsunzeit von Juni bis September an Ausmaß und Heftigkeit zu. Die Bewohner der Dörfer sind den regelmäßigen Fluten mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert. Der indische Staat ist damit überfordert, die vielen betroffenen Dörfer durch Dämme oder andere Maßnahmen besser zu schützen.
Gemeinsam eine Landkarte zeichnen - für die Prävention
Die Koordinatoren, Santosh Toppe und Manoj Bardhan begleiten am Tista-Fluss in der Diözese Jalpaiguri ein Projekt der Caritas, in dem sich die Dorfbewohner selbst organisieren, um den Gefahren und Folgen der Fluten weniger schutzlos ausgeliefert zu sein. Santosh Toppe erzählt: "Vor einem Jahr haben wir im Dorf Marichbari begonnen. Wir starteten mit allen Bewohnern, zunächst mit einer Risikoanalyse. Dazu gestalten wir gemeinsam eine Landkarte. Die Menschen verzeichnen dort beispielsweise, welche Häuser oft und welche nicht überflutet werden oder wo ein Damm schwach ist oder fehlt. In Marichbari können die Kinder in den Fluten die zwei Kilometer entfernte Schule nicht mehr erreichen. Die Bewohner diskutieren die Ergebnisse der Analysen und setzen ihre Prioritäten."
Die in der Risikoanalyse gewonnenen Daten werden auch an die Regierung weitergegeben. "Diese gewährt Fluthilfen, wenn sie von der Gemeinde beantragt werden", meint Manoj Bardham, der schon viele Dörfer erfolgreich begleitet hat, ihre Rechte einzufordern und entsprechende Schutzmaßnahmen zu erhalten. Auch die Regierung profitiert von dem Vorgehen, denn sie gewinnt einen Überblick über den Bedarf und kann die knappen Mittel zielgerichteter einsetzen. "Wir haben für das Dorf das Material für Schutzhütten aus Bambus und Plane erhalten, richtig teuer wird es, wenn wir bei der Regierung beantragen, dass der Damm verlängert wird. Heute hört er in der Mitte des Dorfes einfach auf. Das war der Grund für die großflächige Zerstörung der Bodenflächen", so Santosh Toppe. Der fehlende Damm war verantwortlich dafür, dass Markonisah Khat, die heute Hirtin ist und in bitterer Armut leben muss.
Zentrale Ansprechpartnerin: Dronikva Roy (li) mit
DorfbewohnernBirgit Betzelt, Caritas international
Zwei Dorfbewohner, Skivli Kirtania und Dronikva Roy, fungieren als zentrale Ansprechpartner. Sie haben wiederum verschiedene Gremien gegründet, die eine Art Zivilschutz aufbauen und erworbenes Wissen weitergeben sollen. Denn es sind die kleinen Dinge, die die Risiken minimieren: In einfachen Plastikdosen - so haben die Dorfbewohner gelernt - bewahren sie jetzt Trockennahrung auf, getrocknetes Dhal, Yaggeri und eine Art Puffreis. "Nach den Fluten haben wir nicht genug zu essen, die Trockennahrung ermöglicht uns das Überleben. Vier Monate müssen wir darben", sagt Joychad Mandatti. Stolz sei er, im Rettungskomitee mitzuarbeiten, das sich wöchentlich trifft, meint der 40-jährige Vater von zwei Kindern und führt mit anderen der Gruppe vor, wie Ertrinkende zu retten sind. "Unsere Kinder haben zwar schwimmen gelernt. Aber Menschen aus den Fluten retten, das können wir erst jetzt. Denn das übt nun das ganze Dorf". Lächelt und zählt auf, was sonst zu tun ist: "Dokumente gehören in wasserdichte Folientüten. Auch wissen wir, welchen Gebrechlichen wir bei der Evakuierung helfen müssen. Als nächstes werden wir die Sockel der Häuser und der Latrinen erhöhen, damit sie nicht mehr überflutet werden. Leider zahlt die Regierung keinen Zement, die Lehmsockel müssen immer wieder erneuert werden."
Die Arbeiten müssen zügig durchgeführt werden. Denn die nächste Flut am Tistafluss wird kommen, wie jedes Jahr zwischen Juni und September. Und dann, sagt Markonisah Khat, wollen sie besser vorbereitet sein. Ihre Enkel, hofft die Tagelöhnerin, sollen einmal ohne die Angst vor Überschwemmungen leben können.
Dorothea Bergler, November 2017