Zur aktuellen Lage
Die humanitäre Situation in Afghanistan ist dramatisch: Etwa 28 Millionen Afghaninnen und Afghanen benötigen dringend humanitäre Hilfe, darunter sind 13 Millionen Kinder. 17 Millionen Menschen leiden unter akutem Hunger. Gleichzeitig werden Hilfen durch die de-facto-Autoritäten sehr erschwert oder gar verhindert. Medizinische Projekte dürfen weiterhin fortgesetzt werden, einige andere müssen vorläufig pausieren.
Die Taliban hatten am 24. Dezember des vergangenen Jahres durch ein Arbeitsverbot für Frauen bei den Hilfsorganisationen die Hilfsprojekte der Nichtregierungsorganisationen fast vollständig zum Erliegen gebracht.
Um Mitternacht setzen plötzlich bei Aalisha Rami* Blutungen ein. Wenig später klingelt bei Hasida Khaled* das Telefon. Hasida ist Hebamme in Kabul. Sie greift ihren Koffer und fährt ins nahegelegene Flüchtlingscamp, wo Aalisha mit ihrer Familie lebt. "Mir war sofort klar, dass sie eine Fehlgeburt hat", berichtet Hasida Khaled. Aalisha war im vierten Monat schwanger.
Die Müttersterblichkeit ist in Afghanistan sehr hoch, selbst in Großstädten wie Kabul. Rund 100 von 1.000 Kindern erreichen nicht das fünfte Lebensjahr und 70 von 1.000 Frauen sterben während der Schwangerschaft oder der Geburt. Hebamme Hasida Khaled arbeitet mit elf weiteren Kolleginnen im Auftrag von Caritas international und Terre des Hommes in einigen Flüchtlingssiedlungen und angrenzenden Wohngebieten Kabuls. Gemeinsam kämpfen sie dafür, dass sich die medizinische Versorgung der Frauen und Kinder verbessert und mehr von ihnen überleben.
Die Stimmung in dem kleinen Zelt, in dem die Familie von Patientin Aalisha wohnt, ist sehr angespannt. Die Blutung will nicht stoppen. Doch Hebamme Hasida handelt schnell und professionell. Alle atmen auf, als sich der Zustand der Patientin nach Stunden endlich stabilisiert.
Eine junge afghanische Mutter mit ihrem Neugeborenen. Dank der Arbeit der Hebammen ist eine Geburt deutlich sicherer für Mutter und Kind.Foto: Pierre Prakash / ECHO
An den Rändern Kabuls haben sich viele Familien niedergelassen, die im Land vertrieben wurden. Andere sind aufgrund der wirtschaftlichen Notlage nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie aus den Nachbarländern Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt. Viele von ihnen leben in einer der 55 informellen Siedlungen in Kabul. "Die Menschen hier sind sehr arm. Viele haben durch die Flucht und Entbehrungen ein psychisches Trauma erlitten. Immer wieder kommt es zu Gewalt an Kindern und Frauen", fasst eine Projektmitarbeiterin die Situation zusammen. Vor allem seit Corona fehlen die Jobs. Immer mehr Menschen leben in den Siedlungen auf engem Raum, ohne Geld und ohne Gesundheitsversorgung, ohne ausreichend Wasser und Toiletten.
Rundum betreut und vorsorglich informiert
Die Hebammen um Hasida Khaled arbeiten seit Jahren in den Siedlungen. Nach und nach haben sie das Vertrauen der Frauen gewonnen. Diese wissen, hier bekommen sie professionelle Hilfe und die Chance, dass ihre Babys überleben, steigt.
Auf Rat der Hebammen von Caritas finden vor und nach der Geburt mehrere Untersuchungen statt. Geschulte Geburtshelferinnen unterstützen die Hebammen bei ihrer Arbeit. Zur Basisgesundheitsversorgung für Mutter und Kind gehören auch Impfungen, die Abgabe von Vitaminen, Folsäure und Eisen sowie psychosoziale Betreuung. In Veranstaltungen werden Mütter, junge Frauen und Mädchen zusätzlich über Hygiene, Ernährung, Schwangerschaft, Gesundheitsförderung, Kinderrechte, Gewaltprävention und psychisches Wohlergehen informiert. Frauen, die sich als Freiwillige melden, werden ausgebildet. Sie tragen so das Wissen weiter und übernehmen die Funktion von Botschafterinnen.
Außerdem werden die Frauen ermutigt, Fälle von häuslicher Gewalt bei den Projektmitarbeitenden anzuzeigen. Sozialarbeiterinnen machen dann Hausbesuche, um die betroffenen Frauen und Kinder zu unterstützen.
Damit die Frauen ihre überlebenswichtige Arbeit für Frauen weiterführen und ausbauen können, brauchen sie Ihre Unterstützung!
*Name geändert
Zur Situation
Afghanistan ist aktuell das Land mit der höchsten Kindersterblichkeit weltweit. Zehn von einhundert Kindern sterben kurz vor oder während der Geburt oder erreichen das erste Lebensjahr nicht. Und 638 von 100.000 Frauen sterben während der Schwangerschaft oder der Geburt. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.
Laut Schätzungen leben seit April 2020 rund 80 Prozent der Menschen in Afghanistan unterhalb der Armutsgrenze. Durch die zugespitzte humanitäre Lage infolge der Corona-Pandemie sowie aufgrund der verbreiteten Unsicherheit im Land verschärft sich die Situation.
Afghanistan wird seit Jahrzehnten von Terror und Konflikten beherrscht. Klimatische Extreme wie Dürren verschärfen die Situation zusätzlich. Offiziell gibt es in Afghanistan 2020 rund 3,54 Millionen Binnenvertriebene durch den Gewaltkonflikt. Zudem sind 1,1 Millionen Menschen durch Katastrophen wie Dürren und Überschwemmungen vertrieben. Die meisten von ihnen lassen sich in informellen Lagern bei Großstädten wie Kabul nieder, ohne Zugang zu Gesundheit, Bildung, ausreichender Nahrung und Trinkwasser. Gewalt, Menschenhandel und Zwangsehen sind verbreitet, betroffen davon sind vor allem Frauen und Kinder.
Kampf gegen Mütter- und Kindersterblichkeit
Das verstärkte Engagement der internationalen Gebergemeinschaft im Bereich der Basisgesundheit führte in den vergangenen Jahren zwar in einigen Regionen des Landes zu einer Reduzierung der Mütter- und Kindersterblichkeit (wobei die Angaben je nach Wohnort stark variieren). Staatliche Gesundheitseinrichtungen, Ärzte, Hebammen, Medikamente, Kontrollen und Schutzimpfungen fehlen jedoch gerade dort, wo sie dringend benötigt werden: in den informellen Siedlungen an den Rändern der Städte. Dort sind die Hygienebedingungen prekär und die Menschen durch Mangelernährung geschwächt. Auf 10.000 Einwohner_innen kommen insgesamt nur 4,6 Ärzte, Hebammen und Pfleger_innen.